Jahrbuch Sucht 2019: Experten kritisieren Glücksspielanbieter
Posted on: 18/04/2019, 04:10h.
Last updated on: 18/04/2019, 04:45h.
In ihrem Jahrbuch Sucht 2019 ver?ffentlicht die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) Zahlen und Trends zum Umgang der Deutschen mit legalen und verbotenen Suchtmitteln. Neben Alkohol, Tabak und illegalen Drogen besch?ftigt sich der Bericht auch mit dem pathologischen Glücksspiel. Die Erkenntnis: Sowohl lizensierte als auch nicht-lizensierte Glücksspielanbieter neigen dazu, staatliche Vorgaben zu umgehen oder gleich ganz zu ignorieren und gef?hrden so den Spielerschutz.
Experten fordern Initiative von der Politik
Der j?hrlich erscheinende Bericht der in Hamm ans?ssigen DHS wirft ein Schlaglicht auf die Glücksspielindustrie in Deutschland: Rund 180.000 Deutsche leiden unter einem pathologischen Spielverhalten, 326.000 weitere k?nnen als Problemspieler bezeichnet werden.
Die Forderung der Suchtforscher: Ein verst?rkter Spielerschutz durch entschlossenes Handeln des Gesetzgebers.
Online Casinos: Erfolgreich trotz Verbot
W?hrend der Umgang mit dem Glücksspiel im Internet im europ?ischen Ausland aktiv von der Politik begleitet und gesteuert wird, steht es um Regulierung und Spielerschutz in Sachen Online Casinos in Deutschland nach wie vor nicht gut.
Dies erl?uterte die Vorsitzende des Fachverbands Glücksspielsucht e.V. (FAGS), Ilona Füchtenschneider bei der Vorstellung des DHS Jahrbuch Sucht 2019 am 17. April in Berlin.
Der Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) fungiert seit 1947 als Dachverband der Suchthilfeverb?nde und -vereine in Deutschland und wird unter anderem vom Bundesministerium für Gesundheit gef?rdert.
Unter dem Dach der DHS arbeiten in der Suchtkrankenhilfe bundesweit rund 1.300 Suchtberatungsstellen und -dienste, 10.000 Selbsthilfegruppen, 300 spezialisierte Krankenhausabteilungen und über 30.000 Experten und Ehrenamtliche in speziellen Einrichtungen.
Allein im Jahr 2017 erwirtschafteten die in Deutschland nicht legalen Online Casinos der DHS zufolge einen Bruttospielertrag von 1,76 Milliarden Euro, Tendenz steigend.
Gleichzeitig, so Füchtenschneider, stelle die st?ndige Verfügbarkeit des Angebots gemeinsam mit schnellen Spielformen, unkomplizierten Zahlungsvorg?ngen und unauff?lligen Spielformen, beispielsweise via Handy oder w?hrend der Arbeitszeit, eine besondere Gefahr für Spieler dar.
Problematisch sei insbesondere, dass das herrschende Verbot von Online-Glücksspiel auf breiter Basis ignoriert werde. Betreiber von Online Casinos übertr?ten die rechtlichen Regelungen u.a. zum Werbeverbot für Glücksspiel im Internet ebenso bewusst wie Finanzdienstleister, Sportklubs und Teile der Medien.
Mit technischen Mitteln gegen Online Casinos?
Davon, den deutschen Glücksspielmarkt für Online Anbieter zu ?ffnen und den Spielerschutz durch gezielte Vergabe von Lizenzen und staatliche Kontrolle zu st?rken, wie es beispielsweise die Bundesl?nder Hessen und Schleswig-Holstein fordern, h?lt die Expertin wenig:
Derzeit bestehe aus suchtfachlicher Sicht eine gute juristische Basis, die nicht leichtfertig verspielt werden solle. Vielmehr gelte es, die existierenden Verbote für Online Glücksspiel wirksam umzusetzen.
Probate Mittel hierfür stellen nach Ansicht Füchtenschneiders Payment Blocking und Netzsperren dar.
Liberalisierungsgedanke verfrüht?
Mitverantwortlich für die Ablehnung der Liberalisierung der privaten Online Casinos ist auch die derzeit noch mangelnde staatliche Infrastruktur zur angemessenen Kontrolle der Anbieter, wie die DHS in einem Statement zum Jahrbuch Sucht 2019 erkl?rt:
Aktuell sollte von einer ?ffnung des Onlinecasinomarktes abgesehen werden. Die Glücksspielaufsicht ist der Kontrolle dieses Segmentes derzeit nicht gewachsen. Die Erfahrungen, die mit der ab 2020 geplanten Zulassung von Sportwetten gemacht werden, sollten abgewartet und sorgf?ltig ausgewertet werden.
Doch nicht nur der Umgang mit dem nicht-regulierten Glücksspiel wird im Jahrbuch Sucht 2019 kritisch beleuchtet. Auch das legale Glücksspiel am Automaten tr?gt nach Ansicht der Experten der DHS ein massiv gestiegenes Suchtpotenzial.
Automatenmarkt in der Kritik
So h?tten die Aufsteller von Spielautomaten im Jahr 2017 einen Bruttospielertrag von 7,1 Milliarden Euro erwirtschaftet, die Wachstumsrate des Segments liege bei rund 10 Prozent j?hrlich.
Auff?llig: Die rasante Ertragssteigerung habe im Jahr 2006 mit der Novellierung der Vorgaben für Spielautomaten begonnen, die eigentlich dem Spielerschutz h?tte dienen sollen.
Stattdessen hebele die Automatenindustrie seither die Regelungen, die der Minderung des Spielanreizes dienten, aus und steigerte so ihre Gewinne, kritisierte Suchtforscher Prof. Dr. Gerhard Meyer bei der Pr?sentation des Jahresberichts:
Nach einer übergangsfrist von 4 Jahren müssen seit dem 11. November 2018 alle aufgestellten Geldspielautomaten der Sechsten Novelle der Spielverordnung aus dem Jahr 2014 entsprechen.
Erste Erkenntnisse zur Umsetzung der Vorgaben durch die Automatenindustrie zeigen, dass die Gesetzgebung nach wie vor in eklatanter Weise ausgehebelt wird.
Das Umgehen der Spielverordnung sei derma?en offensichtlich, dass dringender Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers bestehe, so der Experte.
Was bringt die Zukunft?
übrigbleibt, dass Grauzonen und rechtliche Unsicherheit beim Glücksspiel, egal ob on- oder offline, von genau den Betreibern ausgenutzt werden k?nnen, deren Interesse an der eigenen Gewinnmaximierung die Notwendigkeit eines funktionierenden Spielerschutzes deutlich in den Schatten stellt.
Für Suchtpr?vention und -hilfe hingegen sind klare und überprüfbare Rahmenbedingungen ebenso Voraussetzung wie Sanktionen bei Verst??en.
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